So alt und doch immer wieder ganz neu!

Wie nähert man sich dieser beachtlichen Menge an Geschichtsjahren? Wie tut man das in der gebotenen Kürze?
Man könnte mit einem Bild arbeiten, etwa dem eines Baums: Der Baum „Diakonie Himmelsthür“ hat nach 140 Jahren tiefe Wurzeln. Einige Äste sind sehr stark geworden, andere abgebrochen, neue Zweige sind gewachsen. Der Baum trägt viele Früchte. Und einzelne Stränge ziehen sich durch, von den Wurzeln bis hoch in die jüngsten Astspitzen.
Der Begriff „Himmelsthür“ ist zum Beispiel seit dem ersten Umzug im Jahr 1888 aus Achtum in den Stadtteil Himmelsthür immer mit dem Unternehmen in Verbindung geblieben. Seit 1974 gehört er sogar zum Namen dazu. Rund 90 Jahre war dieser Stadtteil in Hildesheim Hauptsitz des Vereins, bevor 1977 der Umzug nach Sorsum erfolgte.
Ein anderer Strang: Nach dem Gründer des Frauenheims, Pastor Bernhard Isermeyer, übernahmen nacheinander sein Sohn Emil und dann sein Enkel Hans-Georg den Vorstandsposten. So war die Leitung von 1884 bis 1972 in der Hand der Familie. Erst nach drei Generationen und 88 Jahren wurde die Vorstandsfunktion in andere Hände übergeben.
Drei andere Stränge dagegen sind sehr stark und ziehen sich bis heute durch. Das sind die Menschen, die begleitet werden, das sind die Mitarbeitenden und die Motivation, aus der heraus diese Arbeit ihre Gestalt gewonnen hat: Menschen dabei zu unterstützen, wieder oder erstmalig ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Diese Motivation wurde im Laufe der vielen Jahrzehnte dem Zeitgeist entsprechend unterschiedlich ausgelegt und umgesetzt. In der Fürsorge-Erziehung, besonders in den 1960er und -70er Jahren, handelte man zum Teil leider nach ganz anderen Maßstäben [1], die nicht mehr der eigentlichen Motivation entsprachen. Das war in vielen anderen Heimen in Deutschland bedauerlicherweise genauso. Die Diakonie Himmelsthür hat sich bei den ehemaligen Heimkindern dafür entschuldigt und sich an einem Fonds für Anerkennungszahlungen beteiligt.
Immer hat die Diakonie Himmelsthür Menschen begleitet, die vorübergehend oder auch dauerhaft Unterstützung brauchten. Das ist durchgehend. Die Zielgruppe änderte sich jedoch mehrfach. Das Frauenheim und später die Diakonischen Werke und die Diakonie Himmelsthür reagierten damit jeweils auf neue Entwicklungen in der Gesellschaft und konnten so oft schneller als staatliche Institutionen neue Bedarfe auffangen. Aber auch die Auslastung der Angebote und eine passende Refinanzierung waren zum Teil Beweggründe für die Umstellung des gerade aktuellen Unterstützungsangebots.
Wie mit den Menschen mit Assistenzbedarf, gleich welcher Art, im Wandel der Zeit Arbeit und Beschäftigung gestaltet wurden und wie sie in den verschiedenen Epochen wohnten, schildern zwei Artikel aus dem Magazin zum 130. Jubiläum [2]. Ebenfalls kann die folgende Tabelle ein paar Schlaglichter auf die Veränderungen vom Damals zum Heute werfen. Eine sehr grobe Zeitleiste rundet den Versuch ab, 140 Jahren auf vier Seiten gerecht zu werden. Wer in die Geschichte der Diakonie Himmelsthür vertieft einsteigen möchte, dem sei das Geschichtsbuch empfohlen, das vor zehn Jahren erschienen und auch ohne Vorwissen verständlich ist.
Wir wünschen uns für die Diakonie Himmelsthür, dass sie auch in den kommenden 140 Jahren flexibel und bestmöglich auf die sich verändernden Kundinnen und Kunden- sowie Mitarbeitendenbedarfe eingehen kann. So wären eine hohe Zufriedenheit aller Beteiligten und ein Fortbestand der christlich motivierten Arbeit gesichert.
[1] Nachzulesen in einem Artikel unseres Magazins vom August 2011
[2] Die Artikel können nachgelesen werden in unserem Magazin vom September 2014 (Q3) bzw. Dezember 2014 (Q4).
STÄNDIGER WANDELvon Prof. Dr. Hans-Walter Schmuhl

Man könnte die Diakonie Himmelsthür mit dem mythischen Vogel Phönix vergleichen. Wie dieser aus seiner eigenen Asche immer wieder neu ersteht, so hat sich die Diakonie Himmelsthür im Laufe ihrer Geschichte unter dem Eindruck sich wandelnder Rahmenbedingungen immer wieder neu erfunden.
Besonders faszinierend finde ich die Gründungsidee des „Arbeiterinnen-Asyls Frauenheim“ – Pastor Bernhard Isermeyer richtete eine Heimstätte für „arbeits-, obdach- und heimatlose Frauen“ ein, die aus dem Gefängnis entlassene, psychisch kranke, geistig oder körperlich beeinträchtigte, wohnungslose, alkoholkranke Frauen ebenso aufnahm wie vernachlässigte und verhaltensauffällige Mädchen. Das Frauenheim war ohne Vorbild, wurde aber zum Vorbild für andere Gründungen. Als das Konzept nicht mehr trug, wandelte sich das Frauenheim zur Fürsorgeerziehungsanstalt, nach dem Zweiten Weltkrieg auch zur Aufnahmeeinrichtung für minderjährige Frauen, die aus der DDR geflüchtet waren, schließlich zu einer Einrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung.
Was die Diakonie Himmelsthür aus ihrer Geschichte lernen kann: Auf neue gesellschaftliche Herausforderungen flexibel mit neuen Unterstützungs-angeboten zu reagieren, ohne dabei den diakonischen Auftrag aus den Augen zu verlieren!
Ich wünsche der Diakonie Himmelsthür, dass sie den diakonischen Gedanken in die Mitte der Gesellschaft trägt.